Raumluftqualität
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Alfred Freitag, Präsident des Schweizerischen Vereins Luft- und Wasserhygiene SVLW.

13.03.2025
Irène Kostenas* / PW

Raumluftqualität im Fokus (Teil 4)

Obwohl die Covid-Pandemie uns schmerzlich zeigte, wie kritisch die Raumluftqualität für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft ist, wird ihr in der Schweiz viel zu wenig Beachtung geschenkt. Nach wie vor besteht in Innenräumen keine Orientierungshilfe über die Innenraumklima-Qualität. Innenräume werden auch nicht systematisch überwacht.

Ein Gespräch mit Alfred Freitag, Präsident des Schweizerischen Vereins Luft- und Wasserhygiene SVLW.

Du befasst dich seit über 20 Jahren mit der Raumluftqualität. Wo stehen wir heute? 

Alfred Freitag: Die Raumluftqualität wurde über Jahrzehnte stiefmütterlich behandelt, obwohl sie in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz geregelt ist. Nach wie vor wird ihr zu wenig Beachtung geschenkt. Der Grund: Sie ist ein allgemein zugängliches Gut und kann nicht als Lebensmittel gehandelt werden. Aber Luft ist mehr als ein Lebensmittel, Luft ist eine Lebensnotwendigkeit! Nur 3 Minuten ohne und wir erleiden gesundheitliche Schäden.

Die Covid-Pandemie hat die Bedeutung der Raumluft verdeutlicht und im Zuge dessen wurden viele Massnahmen ergriffen, wie PR-Aktionen, Messgeräte wurden aufgestellt, usw., aber heute ist es fast wieder wie vor der Pandemie! Das Thema Raumluft liegt nun wieder beim Energieverbrauch. Gesundheit und Wohlbefinden sind in den Hintergrund geraten.  

Alfred Freitag, Präsident des Schweizerischen Vereins Luft- und Wasserhygiene SVLW.

Alfred Freitag, Präsident des Schweizerischen Vereins Luft- und Wasserhygiene SVLW.

Atmen ist lebensnotwendig.

Atmen ist lebensnotwendig.

Innenraumklima: sinnvolle, gesunde und komfortable Bereiche für CO2-Gehalt, Temperatur und Feuchte.

Innenraumklima: sinnvolle, gesunde und komfortable Bereiche für CO2-Gehalt, Temperatur und Feuchte.

Ich bin noch heute konsterniert, dass eine nationale Aufklärungskampagne für Raumluft [1] vom Bundesrat abgelehnt wurde, denn ein Investment würde sich rasch auszahlen und aus den Fehlern der Pandemie müssen nachhaltige Lehren gezogen werden.  Warum wird gute Raumluftqualität, obwohl sie bezüglich der Reduktion von Infektionsrisiken die wichtigste Hygienemassnahme ist, nur so nebenbei genannt? 

Ja, das ist sehr schade und liegt vermutlich an der Energiesparbremse und daran, dass Gebäude in der Hoheit der Kantone liegen. In der Schweiz gehen wir einen liberalen Weg. Es braucht immer die Kraft der Selbstverantwortung wie Verbands- und Vereinsarbeit. Wir als Verein haben Mitglieder, die uns ermöglichen, uns für die Raumluft einzusetzen, aber im Vergleich zur Pharmabranche ist unsere Lobby massiv unterfinanziert, obwohl gesunde Raumluft genauso wichtig ist wie sauberes Wasser oder Hygiene allgemein. Die Industrie könnte hier nachhelfen. Wir würden es sehr begrüssen, die Anzahl unserer Mitglieder auszubauen. Besonders Mitglieder aus anderen Branchen, wie z.B. der Informatik, wären sehr willkommen, zumal die Zukunft in diese Richtung geht mit KI auch in der Gebäudetechnik.

 

Vor 25 Jahren lehnte der Ständerat, der damals Erstrat war, die vom Bundesrat vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlagen zum Schutz der Innenraumluft ab. Der Bundesrat erklärte damals [2], dass eine schlechte Raumluftqualität beträchtliche Kosten nach sich ziehen kann und erklärte damals, dass Finnlands Kosten (5 Millionen Einwohner), die durch eine schlechte Innenraumluft entstehen, bei etwa 3 Milliarden Euro pro Jahr liegen, die USA auf etwa 100 Milliarden Dollar pro Jahr.

Dass schon vor der Covid-Pandemie ein Investment in gesunde Raumluft sich rasch ausgezahlt hätte, steht ausser Frage. Da nun Covid zu den bisherigen Pathogenen und anderen Problemen in der Raumluft dazukommen ist, könnte man neu rechnen wie viel Schaden ungesunde Raumluft verursacht. Das BAG weist Schulbehörden an, Kinder und Jugendliche mit Long Covid mittels guter Durchlüftung vor Reinfektionen zu schützen, da eine Reinfektion die Schwere der Erkrankung verschlimmern kann. Zudem lieg das Risiko, sich bei der nächsten Infektion Long Covid einzuhandeln, in der Gesamtbevölkerung bei 5-7% und ist damit tiefer als 2020/2021, aber 5-7% sind nicht unerheblich und bis heute gibt es keine Heilung bei Long Covid. Die Gesundheitskosten explodieren und gesunde Raumluft könnte hier Abhilfe schaffen und neue Langzeitkrankheitsfälle verhindern, die weitere Kosten und Leid mit sich bringen werden.
Leider gibt es kaum Berechnungen von Ökonomen, um den heutigen Schaden zu beziffern. Ich denke, solche Daten wären wertvoll, um Entscheidungsträger zu überzeugen.

 

Wenn wir die schweren Krankheiten ausklammern, bleiben die vielen Krankheitsfälle, die zum Glück gut verlaufen, aber zu massiven Absenzen bei der Arbeit und in der Schule führen. Das geht ins Geld. Aktuell erleben wir mit der Grippe, die wie Covid luftübertragen ist, eine massive Krankheitswelle. Gewisse Schulen müssen vorübergehend den Betrieb einstellen, weil zu viele Schüler und Lehrer gleichzeitig krank sind.

Neben den Entscheidungsträgern braucht es auch ein Bewusstsein in der Bevölkerung, was gute Raumluft bedeutet. Es gibt Konferenzen, bei denen sich Firmen präsentieren und engagieren, weil gute Raumluft ihrem Geschäftsmodell entspricht. Policy verlangt Vorausschauen und einen langen Atem.  Zurzeit liegt der Schwerpunkt bei der Energie. Wenn dann alle Gebäude dicht und Energie bis zum geht nicht mehr eingespart sind, wird man merken, wie wichtig die Raumluft, das Innenraumklima ist.


Wie gut seid ihr beim SVLW aufgestellt?

Wir finanzieren uns vorwiegend durch Mitgliederbeiträge. Mitglied können Firmen wie private Personen werden, denen die Raumluft am Herzen liegt und der Gemeinnutzen vor dem Eigennutzen steht.

 

Wie ergeht es dir, wenn du für Projekte und Konferenzen Sponsoren kontaktierst?

Das Verständnis bei durch Unternehmer geführten Firmen ist vorhanden und sie unterstützen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Bei Grossfirmen steht ihr eigenes Wohl immer mehr im Vordergrund, somit fallen unsere Anliegen den Budgetkürzungen zum Opfer.
Leider haben wir in der Schweiz nicht wie in Deutschland eine Stiftung für Raumluft, welche Projekte und Forschung finanziert und eine aktive Lobbyarbeit im Bundesparlament. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Firmen, deren Geschäftsmodell direkt mit der Raumluft oder dem Innenraumklima in Verbindung steht, bewegen sich in die richtige Richtung.

Aber auch Firmen mit Weitsicht und gutem Herzen gibt es. Sie verstehen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern. Ohne sie hätten wir die erste WHO Europa Raumluftkonferenz nicht realisieren können. Diese Konferenz war ein Meilenstein in der Geschichte der WHO Europa und kurz darauf reagierte auch die WHO, adaptierte den Paradigmenwechsel und veröffentlichte zwei Publikationen. Die WHO fordert immer wieder alle Länder, Organisationen und Individuen dazu auf, für gesunde Raumluft zu sorgen.

Im letzten Update von Dezember 2024 forderte die WHO erneut alle auf, die Raumluftqualität überall zu verbessern. [3]

 

Die WHO ist ein wichtiger Partner wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Wenn ich z.B. mit Entscheidungsträgern oder auch Journalisten darüber spreche, teile und beziehe ich mich immer auf die Publikationen der WHO, des BAG und des SECO und es funktioniert, anders als 2020/2021 als es noch keine Informationsblätter von WHO und BAG dazu gab. Der Paradigmenwechsel, den das BAG und die WHO vollbrachten, ist sehr hilfreich.

Wir schätzen die Kooperation mit der WHO Europa, WHO und dem BAG sehr und fühlen uns privilegiert, unser Branchenwissen und unsere mehrjährige Erfahrung zu allen Themen rund um die Raumluftqualität einbringen zu dürfen. Wir sind ein nationaler Verein, aber unser Impact ist international. Das liegt unter anderem daran, dass die Schweiz weltweit beim Thema Gesundheit eine zentrale Rolle spielt und sich zur Einhaltung der 17 Nachhaltigkeitsziele verpflichtet hat. Dazu kommt, dass sich der WHO-Hauptsitz in Genf befindet und einer unserer Partner, das Geneva Health Forum (Universität Genf), bereits eine Kooperation mit der WHO Europa hat.  

 

Wie siehst du die Bedeutung der Raumluftqualität in der Zukunft?

Als Präsident des SVLW kann ich diese nur golden sehen!

Weil die Politik erkannt hat, dass wir drei grosse Herausforderungen haben, a) Klimawandel, b) Ressourcen Verknappung und c) das Verhalten der Menschen. Um diesen drei Herausforderungen zu begegnen, wurden von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 die 17 Nachhaltigkeitsziele erstellt. Die Schweiz hat sich zur Einhaltung verpflichtet.

In Europa wurde diesbezüglich das Projekt Green Deal lanciert, welches unter anderem die Firmen verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Bei uns in der Schweiz, wie anlässlich unserer Keynote Session an der Swissbau 2024 aufgezeigt [4], werden ab 2024 ebenfalls Nachhaltigkeitsberichte gefordert.

Die Nachhaltigkeitsberichte basieren auf der ESG-Struktur: mit E = environmental steht der Energie- und Wasserverbrauch, beim S = Social die Gesundheit und Wohlbefinden und bei G = Governance die Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften etc. im Fokus.

 

Wie kann nun ein Unternehmen ohne Berücksichtigung der Gebäudeinfrastruktur einen entsprechenden Nachhaltigkeitsbericht erstellen?

Unternehmen beschäftigen Personen, welche in Gebäuden arbeiten, auch das Homeoffice zählt dazu, weshalb das SECO eine Broschüre zur Gesundheit im Homeoffice zur Verfügung stellt [5]. Die Einhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden gemäss Arbeitsgesetz ist nur möglich mit der Sicherstellung von gesunder Raumklimaqualität [6]. Keine Frage - goldene Zeiten stehen der Raumluft bevor!

 

Was stimmt dich so sicher, dass der Raumluftqualität künftig mehr Bedeutung geschenkt wird?

Wir handeln, wenn uns was schmerzt oder Freude beschert! Steuern, Bussen tun uns weh. In der EU wurden die Gebäudeeffizienz-Richtline überarbeitet und die Innenraumklima-Qualität darin aufgenommen.

In der Schweiz werden die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) überarbeitet. Leider wird die Raumklimaqualität nicht berücksichtig, obschon sie einen grossen Einfluss auf den Energieverbrauch hat. Dies ist der grosse Hebel für die Raumluftqualität in der Schweiz!

Sprich, wir müssen uns einsetzen, dass die Raumklimaqualität in die nächste Revision der MuKEn einfliesst [7]. Nichtsdestotrotz müssen wir uns heute schon bei den Kantonen und in Bundesbern für gute Raumluftqualität einsetzen. Hier braucht es Lobbyarbeit.

Freude macht doch, wenn man gute Resultate zeigen kann. Den Bundesbetrieben kommt eine Vorbildfunktion zu, auch in Bezug auf das Arbeitsplatz-Klima. In den Betrieben müssen die Verwaltungsräte die Nachhaltigkeitsberichte unterschreiben, stehen also in der Verantwortung. Dementsprechend müssen die Geschäftsführer sich um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter kümmern. Dazu kommt noch die Einhaltung des Lieferantenketten-Gesetzes, was bedeutet, dass auch bei den Lieferanten Gesundheit und Wohlbefinden sichergestellt werden müssen.

 

Daraus folgend, was sind aus deiner Sicht die nötigen Aktivitäten des SVLW?

Unsere Aufgabe ist es, weiter die Bekanntheit der Raumluftqualität zu fördern in Bezug auf deren Bedeutung, Wichtigkeit und Folgen. Dies in der Bevölkerung, in der Politik und bei allen, welche für das Erstellen und Betreiben von Räumen verantwortlich sind.

Der SVLW muss weiter aufzeigen, in Zusammenarbeit mit allen Interessierten, was die Bedeutung von Raumluftqualität ist, was die Auswirkungen von ungenügender Raumluftqualität sind und was gemacht werden kann, damit die Raumluftqualität den Nachhaltigkeitskriterien und dem Arbeitsgesetz entspricht.

 

Was benötigt der SVLW dazu?

Idealisten und ohne Moos nix los! Personen und Firmen, welche bereit sind, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und sich dafür engagieren. Finanzielle Unterstützung in Form von Mitgliederbeiträgen sowie die Bereitschaft, Projekte und Aktionen mitzufinanzieren, welche Fakten und Zahlen liefern.
Eine Presse, welche an der Thematik interessiert und bereit ist, regelmässig über das Thema zu berichten. Nicht nur die HLKS-Branche, sondern die gesamte Bau- und Immobilienbranche und auch die Behörden müssen informiert werden.
Ein Lobbying, um die Politik und Behörden auf regionaler, kantonaler und nationaler Eben zu erreichen. Sie sollten von der Wichtigkeit, Bedeutung und Wirkung der Raumluftqualität überzeugt werden.

 

Was sind deine drei Wünsche für die Zukunft?

1.) Jeder, der einen Raum betritt, ist sich dessen bewusst, dass gesunde Raumluftqualität [8] für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit grundlegend ist. 2.) Wenn man einen Raum betreten muss, sollte man darüber informiert werden, wie die Qualität der Raumluft ist.

3.) Bei jedem Neubau- oder Umbauprojekt, bei jedem Verkauf eines Gebäudes wird die Sicherstellung der guten Raumluftqualität gefordert und nachgewiesen.

 

svlw.ch

 

*Autorin: Irène Kostenas, Unternehmerin, Grünliberale Partei Zürich (Kreis 1+2), Schweizer Verein für Luft und Wasser (SVLW) und Geneva Health Forum (GHF).

 

Quellen

[1]       https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234507

[2]       https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20001059

[3]       WHO Seite 8 https://www.who.int/publications/m/item/covid-19-epidemiological-update---24-december-2024

[4]       Präsentation SVLW Swissbau https://www.svlw.ch/4319-swissbau-2024

[5]       SECO Broschüre namens „Home Office – Gesundheitsschutz“ https://www.bundespublikationen.admin.ch/de/search/homeoffice

[6]       https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202401275

[7]       https://www.endk.ch/de/energiepolitik-der-kantone/muken

[8]       https://www.rehva.eu/fileadmin/user_upload/2024/IEQ_Guidance_2025.pdf

 

 


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