Energie

Mobility-Station in der Stadt Bern. Quelle: Mobility

01.12.2025
Benedikt Vogel

E-Auto-Flotten als Teil des Stromnetzes

Elektroautos gehören oft zur Fahrzeugflotte einer Firma oder einesCarsharing-Anbieters. Ein Forschungsprojekt der Tessiner Fachhochschule SUPSI hat digitale Werkzeuge entwickelt, die künftig dabei helfen sollen, ökonomischen Nutzen aus dem netzdienlichen Betrieb von E-Auto-Flotten zu erzielen.

Mit rund 3000 Fahrzeugen an 1600 Standorten ist Mobility der grösste Carsharing-Anbieter der Schweiz. Das 1997 gegründete Unternehmen setzt immer mehr auf Elektroautos: Anfang 2025 waren gut 600 E-Fahrzeuge wie der Renault ZOE, der VW ID.3 oder der Skoda Enyaq im Einsatz. Solche Flotten haben Eigenschaften, die über den unmittelbaren Verwendungszweck der Autos hinausreichen: Schliesst man die Batterien dieser Autos gedanklich zusammen, erhält man einen grossen Speicher, der ausreichen würde, zehn Vier-Personen-Haushalte ein ganzes Jahr mit Strom zu versorgen.

 

Elektromobile für Carsharing und Firmen

Carsharing-Unternehmen sind auch im Ausland aktiv, zum Beispiel in der israelischen Stadt Tel Aviv. Dort betreibt der Mobilitätsanbieter GoTo im Auftrag der Stadt Tel Aviv das Carsharing-Unternehmen AutoTel mit 360 Autos, darunter 100 Elektroautos. Die AutoTel-Fahrzeuge haben – anders als die Mobility-Autos – keine festen Standorte, sondern können von den Nutzerinnen und Nutzern im ganzen Stadtgebiet angemietet und nach Gebrauch an einem beliebigen Ort parkiert werden. Das sogenannte Free-floating-System hat den Vorteil, dass die Autos über vergleichsweise kurze Standzeiten verfügen. Zugleich ergibt sich der Nachteil, dass «leer gefahrene» Autos oft fernab von Ladesäulen stehen und mit erheblichem Aufwand an die Ladestationen gebracht werden müssen.

Schliesslich gibt es Auto-Flotten, die von den Mitarbeitenden von Unternehmen genutzt werden. Auch solche Flotten bestehen immer häufiger ganz oder zumindest teilweise aus Elektromobilen. Ein Beispiel findet sich in der niederösterreichischen Gemeinde Ernstbrunn. Dort hat seit 2009 die Firma «Windkraft Simonsfeld» ihren Sitz. Sie betreibt eine Reihe von Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Das Unternehmen setzt auch bei ihren Firmenautos auf erneuerbare Energien: Die Mehrzahl der rund zwei Dutzend Firmenwagen haben Elektroantrieb.

 

Flotten netzdienlich betreiben

Mobility, AutoTel und Windkraft Simonsfeld – so verschieden diese Unternehmen auch sind, so eint sie doch die Tatsache, dass sie mehr oder weniger grosse Flotten aus Elektroautos betreiben. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass sie Partner eines internationalen Forschungsprojekts wurden, das von Schweizer Seite durch die Tessiner Fachhochschule SUPSI koordiniert und vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt wurde (im Rahmen des internationalen ERA-Net-Programms Smart Energy Systems). Das Projekt hat den Namen GAMES. Das Akronym steht für «Grid Aware Mobility and Energy Sharing», frei übersetzt: Mobilität und Energieaustausch im Dienst des Stromnetzes.

«Die Firmen Mobility, AutoTel und Windkraft Simonsfeld waren für uns interessant, weil wir untersuchen wollten, wie sich aus E-Auto-Flotten mit digitalen Tools ein Mehrwert für das Stromnetz generieren lässt», sagt Jalomi Maayan Tardif, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der SUPSI und Projektleiterin von GAMES. «Ziel unseres Projekts war, Betreibern von E-Auto-Flotten neuartige Prognose-, Optimierungs- und Entscheidungswerkzeuge an die Hand zu geben, die dabei helfen, Ladevorgänge und Fahrzeugverlagerungen effizient zu planen – unter Berücksichtigung von Nachfrage, Strompreisen und Netzbelastung», sagt die SUPSI-Wissenschaftlerin.

 

Drei Anwendungsfälle modelliert

E-Auto-Flotten können auf unterschiedliche Weise einen Mehrwert für das Stromnetz generieren:

Die E-Autos können gezielt zu Zeiten geladen werden, wenn im Verteilnetz sonst wenig Strom verbraucht wird. Diesen Anwendungsfall haben die GAMES-Forschenden anhand von Daten des Carsharing-Anbieters AutoTel untersucht. In Tel Aviv ist diese Fragestellung besonders relevant, weil dort tagsüber viel Solarstrom vorhanden ist, aber auch ein hoher Strombedarf für Klimaanlagen.

E-Auto-Flotten können genutzt werden, um Solarstrom zwischenzuspeichern mit dem Ziel, den Eigenversorgungsgrad von dezentralen Prosumern, die Solarstrom selber produzieren und auch verbrauchen, zu erhöhen. Dieser Anwendungsfall wurde mit Daten der Firmenflotte von «Windkraft Simonsfeld» untersucht: In Modellrechnungen wurde versucht, einen möglichst grossen Anteil des «grünen» Stroms aus den eigenen Kraftwerken für das Laden der Firmenflotte zu verwenden.

E-Auto-Flotten können für Peak-Shaving eingesetzt werden. Dabei wird in Zeiten mit hoher Photovoltaik-Produktion Strom in Autobatterien zwischengespeichert, um diesen später, wenn keine PV-Überschüsse mehr da sind, ins Netz zurückzuspeisen. Um dies technisch zu ermöglichen, sind bidirektionale Ladestationen (Vehicle-to-Grid-Technologie/V2G) erforderlich. Dieser Anwendungsfall wurde von den Wissenschaftlern mit Daten von Mobility «durchgespielt».

 

Modelle sagen Nutzerverhalten vorher

In GAMES ging es nicht darum, die Anwendungsfälle in Tel Aviv, Ernstbrunn und Zürich empirisch zu testen. Vielmehr wurden (datenschutzkonform aufbereitete) Daten von AutoTel, Windkraft Simonsfeld und Mobility genutzt, um digitale Werkzeuge zu entwickeln, die solche Anwendungen überhaupt erst möglich machen, die also fähig sind, die Ladevorgänge von E-Auto-Flotten «intelligent» zu steuern. Zu dem Zweck entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Prognosemodelle, die fähig sind, das Mobilitätsverhalten der E-Auto-Nutzer und den zugehörigen Strombedarf über Stunden und Tage realitätsnah vorherzusagen.

Dabei musste sichergestellt werden, dass die Autos zu jedem Zeitpunkt so gut geladen waren, dass deren Nutzung nicht eingeschränkt war, die E-Auto-Flotte also wie gewünscht für Carsharing oder firmeninterne Zwecke genutzt werden konnte. Die «intelligenten» Steuerungsalgorithmen sollten dabei idealerweise in die bestehenden Buchungs- und Managementplattformen integriert werden. Den GAMES-Forschenden ist es im Zuge des Projekts gelungen, den Proof-of-Concept eines digitalen Interfaces zu entwickeln, das das Mobilitätsverhalten der Auto-Nutzer ebenso berücksichtigt wie die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Flottenbetreiber und den Wunsch der Stromnetzbetreiber nach einer möglichst ausgeglichenen Netzbelastung.

 

Finanzielle Anreize

Aus ihren Untersuchungen leiteten die Forschenden verschiedene Erkenntnisse ab, die für den netzdienlichen Betrieb von E-Auto-Flotten von Bedeutung sind. Eine davon ist wirtschaftlicher Natur: Damit Peak Shaving mithilfe von V2G wirtschaftlich ist, braucht es ein neuartiges Tarifsystem: Die hohen Investitionen in die V2G-Infrastruktur lohnen sich nämlich nur, wenn sich später durch Peak Shaving (oder andere Anwendungen) genügend hohe Einnahmen erzielen lassen.

Eine weitere Erkenntnis, die das israelische Forscherteam gefunden hat, ist sozialwissenschaftlicher Art und betrifft die Akzeptanz von Carsharing von E-Autos. Demnach sind die Menschen immer noch skeptisch gegenüber Carsharing mit Elektromobilen, weil sie an deren Leistungsfähigkeit zweifeln und hohe Kosten befürchten. Auch sind sie mitunter der Auffassung, die tieferen Kosten würden die Vorteile eines eigenen Fahrzeugs nicht unbedingt aufwiegen. «Werden Carsharing-E-Autos allerdings in einer Siedlung eingesetzt, um den eigenen Solarstrom zu nutzen, sind die Menschen positiver eingestellt. Daraus leiten wir ab, dass ein hoher Eigenverbrauch helfen kann, gewisse Vorbehalte bezüglich Umstieg auf E-Autos zu entkräften», sagt Maayan Tardif.

Die österreichische Beratungsfirma E7 hat im Rahmen des Projekts ein lineares Optimierungsmodell entwickelt, das Daten vom SUPSI nutzt, um Flottenladeszenarien zu simulieren und intelligentes Laden mit Vehicle-to-Grid zu vergleichen. Das Modell kann künftig verwendet werden, um die wirtschaftlichen Vorteile verschiedener Strategien unter Einbezug dynamischer und statischer Preise zu quantifizieren. Das Tool lässt sich unter anderem bei der Planung von städtischen Ladeinfrastrukturen einsetzen.

Im Projekt wurde ferner gezeigt, dass Nutzer von Carsharing-Autos mit finanziellen Anreizen motiviert werden können, die Autos nach Gebrauch bei einer Ladesäule zu parkieren und nicht einfach auf dem nächstbesten Parkplatz abzustellen. Das ist wertvoll, weil Betreiber von Carsharing-Flotten dadurch von der Aufgabe befreit werden können, die Autos durch eigene Mitarbeiter an die Ladesäulen zu bringen. Noch zu untersuchen bleibt die Frage, wie hoch der Anreiz sein muss, dass er für die Nutzer attraktiv und für die Flottenmanager wirtschaftlich verkraftbar ist.

 

Hürden überwinden

«E-Auto-Flotten und Carsharing haben ein grosses Potential zur Dekarbonisierung der Mobilität», sagt SUPSI-Professor Vasco Medici, in dessen Forschungsgruppe der Schweizer Teil des GAMES-Projekts durchgeführt wurde. Noch ist indes nicht klar, mit welchen neuen Geschäftsmodellen Betreiber von E-Auto-Flotten zusätzliche Erträge erzielen können. «Noch gibt es verschiedene Hürden wie anpassungsbedürftige regulatorische Vorgaben, eingeschränkte Kommunikation und Kompatibilität von Autos und Ladestationen, Datenschutzbestimmungen oder ungeklärte Fragen zum Herkunftsnachweis von Strom aus Autobatterien. Diese Punkte müssen geklärt werden, bevor neue Geschäftsmodelle zum Tragen kommen», sagt Medici.

Die Ergebnisse von GAMES geben einen Hinweis, wohin die Reise gehen könnte. Im Rahmen des Projekts wurden zwei Plattformen mit hohem Anwendungspotential entwickelt: Eine Plattform erlaubt Firmenflotten die Teilnahme am Regelenergiemarkt; eine entsprechende Plattform ist in der Schweiz bereits operativ (FLEXO, eine Kooperation von Axpo und Clyde Mobility). Die andere Plattform unterstützt Betreiber von Free-Floating-E-Auto-Flotten, die Autos so auf die Ladesäulen zu verteilen, dass das lokale Verteilnetz möglichst wenig belastet wird. Diese Plattform ist bisher nicht in Anwendung, hat ihr Potential aber im Labor unter Beweis gestellt.


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