Energie

Quelle: Mercedes-Benz

20.10.2025
Erik Brühlmann

Achtung, Gefahr!

Die Kommunikationstechnologie Car2X kann dazu beitragen, die Sicherheit im Strassenverkehr zu erhöhen – indem Autos andere Autos automatisch vor Gefahren warnen.

Allein auf Schweizer Strassen ereigneten sich 2024 17 432 Unfälle mit Personenschaden. Dabei verloren 250 Menschen ihr Leben. In der EU lag die Zahl der Verkehrstoten gar bei rund 19 800. «Wir müssen unsere Bemühungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit verstärken», liess der EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas verlauten. «Jeder Todesfall ist einer zu viel. Unser Ziel bleibt: null Verkehrstote.» Doch wie will man verhindern, dass ein Auto plötzlich aus einer Ausfahrt schiesst und ein Auto rammt, das der Fahrer nicht sehen konnte? Wie verhindert man Auffahrunfälle in dichtem Nebel? Wie erfährt man vom Falschfahrer, wenn das Radio nicht an ist? Die Kommunikationstechnik Car2X – «Car to everything» oder «Auto mit allem Möglichen» – hat viel Potential, weil sie im Idealfall verhindert, dass Gefahrensituationen überhaupt erst entstehen.

Im Rahmen des Forschungsprojekts «Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland» führte Mercedes-Benz bereits vor einem Jahrzehnt mit verschiedenen Projektpartnern einen grossangelegten Feldversuch durch, um das Sicher-heitspotential von Car2X auszuloten.500 Teilnehmende legten in 41 000 Fahrstunden 1,6 Millionen Kilometer zurück. Das Ergebnis: Car2X-Funktionen erhöhen die Sicherheit während der Fahrt erheblich. Eine vollständige Durchdringung könnte jedes Jahr geschätzt rund 6,5 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Kosten durch Unfälle einsparen. Nicht umsonst bezeichnet der deutsche ADAC Car2X als einen «Meilenstein wie ABS und Airbag».

 

Auto spricht mit Auto

Doch was ist Car2X überhaupt? Das Prinzip ist einfach: Autos kommunizieren untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur. Dadurch entsteht eine Art Schwarmintelligenz, von der alle Verkehrsteil-nehmenden profitieren. Die Kommunikationstechnik macht sich dafür die Digitalisierung moderner Fahrzeuge zunutze. Denn Warnhinweise, die von den vielen verbauten Sensoren und einem ganzen Strauss von Assistenzsystemen im eigenen Auto ausgelöst werden, sind längst zur Normalität geworden. Zukunftsweisend ist der Gedanke, diese Hinweise an andere Fahrzeuge in der Nähe weiterzugeben. So könnten nahende Fahrzeuge frühzeitig vor Unfällen, Baustellen und Staus gewarnt werden; die Fahrer könnten in Ruhe und angemessen reagieren, statt von unvorhergesehenen Situationen überrascht zu werden.

Für die Übertragung nutzt Car2X entweder WLANp oder Mobilfunk – und hier liegt die technische Krux. Denn die beiden Technologien sind nicht kompatibel. Fahrzeuge, die mit Car2X auf WLANp-Basis ausgestattet sind, stossen bei der Mobilfunk-Variante auf taube Ohren und umgekehrt. Die Mobilfunk-Technologie hat den Vorteil einer bis zu dreimal höheren Reichweite. Allerdings kann dies dazu führen, dass Fahrende einer Reizüberflutung ausgesetzt werden könnten, wie der ADAC festhält. Sprich, man wird ständig vor Gefahren gewarnt, die für die jeweilige Fahrt eigentlich gar nicht relevant sind. Um die Mobilfunkvariante effizient nutzen zu können, braucht es zudem eine durchgehende Abdeckung des 5G-Standards. Im gesamteuropäischen Kontext ist dies jedoch alles andere als gegeben. Zwar schreitet der Ausbau des 5G-Netzes in den EU-Mitgliedsstaaten voran. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Ländern noch enorme Unterschiede, was Abdeckung und Qualität angeht, auch wegen lokaler Vorschriften, finanzieller Möglichkeiten und politischer Gegebenheiten.

 

Stolpersteine

Da der Teufel wie so oft im Detail liegt, muss Car2X noch diverse weitere Stolpersteine überwinden, bevor es, wie es Mercedes-Benz formuliert, das Auto zum «Herzstück des Internet of Things» machen kann. So sind derzeit laut Schätzungen einer McKinsey-Studie erst 50 Prozent aller Neufahrzeuge vernetzt. Zwar soll diese Zahl bis 2030 auf über 90 Prozent ansteigen, doch auch dann werden noch viele Fahrzeuge auf den Strassen unterwegs sein, die vor dem allgemeinen Vernetzungsboom gekauft wurden. Die 5G Automotive Association (5GAA), die globale, industrieübergreifende Organisation von Unternehmen aus den Bereichen Kraftfahrzeuge und Kommunikation, schätzt daher auch, dass bis 2030 erst 54 Prozent der Fahrzeuge in Europa über Car2X-Technologie verfügen.

Uneinigkeit herrscht unter den Fahrzeugherstellern auch, welche Informationen den Fahrzeuglenkenden per Car2X überhaupt angezeigt werden sollen. Die Zahl der Gefahrensituationen variiert gemäss ADAC zwischen zwei und 16. Darunter sind Pannenfahrzeuge, Unfälle, Staus, Hindernisse und sogar Tiere auf der Strasse. Eine solche Bandbreite kann für Lenkende bei einem Fahrzeugwechsel durchaus problematisch werden – nämlich dann, wenn sie sich auf Meldungen verlassen, die im alten Fahrzeug angezeigt wurden, im neuen jedoch nicht mehr. Nicht zuletzt ist die Effizienz der Car2X-Kommunikation abhängig vom verfügbaren Kartenmaterial, das so präzise wie möglich sein muss.

 

Es funktioniert

Die Zahl der Modelle, die mit Car2X ausgerüstet sind, steigt. Volvo rüstet neue Modelle serienmässig damit aus, auch im VW Golf 8 und ID.7, beim CUPRA Born und bei diversen neuen Ford-Modellen ist die Kommunikationstechnologie serienmässig vorhanden. Bei anderen Modellen, unter anderem von Mercedes-Benz, BMW, Audi und VW, kann Car2X optional dazubestellt werden. Diesen Umstand bemängelt der ADAC; er fordert, dass die Technologie in allen PKW und LKW zur Serienausstattung gehören sollte. Zudem sollten sicherheitsrelevante Funktionen keine Folgekosten hervorrufen dürfen.

Immerhin: Die vorhandenen Car2X-Angebote funktionieren zuverlässig, wie der ADAC bereits vor einigen Jahren in ausgiebigen Tests am Beispiel des VW Golf 8 festgestellt hat. Gefahrensituationen wurden dabei per WLANp an andere Fahrzeuge in bis zu 800 Meter Entfernung fast ohne Verzögerung gesendet. Ein stehendes Fahrzeug machte sich elf Sekunden vor einer potentiellen Kollision bemerkbar. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h wüsste ein nachfolgender Fahrer demnach rund 300 Meter vor der Pannen- oder Unfallstelle, dass etwas nicht in Ordnung ist, und hätte genug Zeit zu reagieren. Interessant ist Car2X auch für Rettungsfahrzeuge. Sie könnten ihr Kommen dank der Technologie frühzeitig ankündigen und andere Verkehrsteilnehmer so dazu bewegen, eine Rettungsgasse freizuhalten. Nicht umsonst fordert der ADAC, dass Rettungs-, Feuerwehr- und Polizeifahrzeuge prioritär mit Car2X ausgestattet werden sollten. Der ADAC selbst ist jedenfalls bereits dabei, seine Gelbe-Engel-Fahrzeuge mit der Technologie auszurüsten. «Sie können nicht nur Gefahrenmeldungen aussenden, sondern auch die von anderen Car2X-Autos empfangen, um selbst vor Stau, Unfall, Baustelle, Panne oder schlechtem Wetter gewarnt zu werden», sagt Alexander Kempf, Leiter Flotten- und Technologiemanagement.

 

Der X-Faktor

Doch Car2X – die Bezeichnung verrät es – beschränkt sich nicht nur auf die Kommunikation zwischen Fahrzeugen. Ultimativ soll die Kommunikation nämlich auch zwischen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur zum Tragen kommen. Ein Beispiel: Die Autobahn GmbH des Bundes ist in Deutschland für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung der Autobahnen verantwortlich. Sie nutzt ein Warnsystem mit Car2X-Technologie bei rund 1000 fahrbaren Absperrtafeln, die bei Tagesbaustellen zum Einsatz kommen, im Regelbetrieb. Dies schützt die Verkehrsteilnehmenden ebenso wie die Arbeitenden vor unliebsamen Überraschungen.

Doch bei Car2X geht es nicht ausschliesslich um sicherheitsrelevante Meldungen. Je nach Einsatzgebiet kann die Kommunikationstechnologie dadurch die Effizienz des Verkehrs deutlich steigern und damit die Umweltbelastungen senken – zum Beispiel, indem die Meldungen der Infrastruktur in die aktuelle Routenplanung miteinbezogen werden. Ein vor allem in Innenstädten leidiges Thema ist die Parkplatzsuche. Sensoren, entweder an vorbeifahrenden Autos oder verbaut in den Parkplätzen, könnten freie Parklücken entdecken und die Information mit anderen Verkehrsteilnehmenden teilen. In Stuttgart lancierten Bosch und Mercedes-Benz bereits einen entsprechenden Feldversuch. Denkbar ist auch, dass die Kommunikation zwischen Verkehr und Ampelsystemen für adaptive Ampelschaltungen genutzt werden kann, die sich dynamisch dem Verkehrsfluss anpassen. Perspektivisch können Car2X-Systeme auch zu einem wichtigen Faktor beim autonomen Fahren werden: indem sie vollautomatisch auf Warnungen reagieren oder von sich aus Routen optimieren. Es ist sogar denkbar, dass auch Fahrräder mit einem Car2X-kompatiblen System ausgestattet werden, um den Verkehr noch sicherer zu gestalten. Doch dies ist noch Zukunftsmusik.


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